Typisch deutsch!

Wir Deutschen und unser Bürokratiemonster

Typisch deutsch! Wer diese Suchanfrage in eine der größten Suchmaschinen der Welt eingibt, findet Artikel über Mülltrennung, Auffälligkeiten wie Socken in Sandalen, Lebensmittel wie Wurst, Bier und Kartoffeln und Eigenschaften wie Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Ordnung und Humorlosigkeit.

Es tauchen aber auch häufig Begriffe wie Bürokratie und Papierkram auf. Die deutsche Bürokratie lässt schon uns Deutsche gerne einmal verzweifeln – was sollen dann diejenigen sagen, die nach Deutschland kommen, um hier zu wohnen und zu arbeiten oder die von einer Firma im Ausland aus eine Niederlassung in Deutschland eröffnen wollen? Formulare über Formulare, Besuche auf tausend verschiedenen Ämtern und der nie enden wollende Papierkram. Ein Antrag für einen Antrag, der online zum Ausdrucken bereitgestellt wird, aber anschließend per Post auf das Amt geschickt werden muss, damit man dann den eigentlichen Antrag ebenfalls per Post bekommt. Wer in Deutschland keinen Drucker hat, ist aufgeschmissen!

Gerade die Corona-Pandemie hat uns gezeigt, wie wenig digital Deutschlands Verwaltung doch ist. Ein Beispiel: Testergebnisse bei der Einreise nach Deutschland wurden manuell in eine Excel-Tabelle eingetragen. Immerhin teilweise digital, aber die Ergebnisse gingen trotzdem verloren (Coronavirus in Bayern: Panne bei Tests für Rückkehrer – SZ.de). Ebenfalls prägend: das altbewährte Kommunikationsmittel der Gesundheitsämter schien im Jahr 2020 immer noch das Fax zu sein. Das hat sich allerdings bis Anfang 2021 geändert. Glücklicherweise und zwangsweise. Denn seit dem 01.01.2021 müssen Labore die positiven Corona-Testergebnisse in digitaler Form an die zuständigen Gesundheitsämter übermitteln (Quelle: Corona-Bekämpfung in Behörden –  deutschlandfunk.de). Meldepflichtige Krankheitsbefunde müssen in elektronischer Form versendet werden. Das Fax habe ausgedient (Quelle: Gesundheitsämter: Mit Papier, Stift und Fax gegen Corona –  DW).

Ein weiteres brandaktuelles Beispiel ist die Impfpflicht, die aufgrund von Papiermangel nicht umgesetzt werden kann. Digitalisierung? Fehlanzeige! Würden wir ein digitales Impfregister einführen, hätte sich die Frage nach dem Papier erledigt und keine Zellstofffaser-Krise der Welt könnte uns mehr aufhalten!

Und auch Aussagen wie „Bei Problemen oder Fragen schreiben Sie bitte keine E-Mails, sondern kommen Sie lieber persönlich in meinem Büro vorbei. Das Internet macht unsere Kultur kaputt“ einer Dozentin an einer großen renommierten Uni in Hessen sind nur ein kleiner Teil der vielen weiteren Beispiele aus unserem Alltag dafür, dass die vielen Möglichkeiten der Digitalisierung, die uns so viel mehr Flexibilität und Unabhängigkeit erlauben, häufig ungenutzt bleiben.

Doch es gibt auch gute Nachrichten: Bei einigen Unternehmen in Deutschland hat sich einiges in Sachen Digitalisierung getan. Bitkom berichtet zum Beispiel im Digital Office Index 2021, dass bereits in 7% der deutschen Unternehmen alle Büro- und Verwaltungsprozesse papierlos ablaufen. In 27% ist nur noch ein viertel papierbasiert und in 40% etwa die Hälfte. 3% haben hierzu nichts angegeben. Bleiben also nur noch 23% der deutschen Unternehmen, bei denen drei Viertel und mehr der Prozesse papierbasiert ablaufen. 2020 lagen der Anteil der Unternehmen mit 75%-100% papierbasierten Prozessen noch bei 36%! Ganz vorne dabei ist die Erstellung von Rechnungen. 2021 gaben 32% der Unternehmen an, ihre Rechnungen nur noch elektronisch zu erstellen, 47% etwa in gleichen Teilen und nur 19% papierbasiert.

Das Paradebeispiel für den digitalen Staat ist Estland. Dort werden laut Angaben der Regierung 99% aller Verwaltungsdienstleistungen online angeboten und ein neues Unternehmen lässt sich innerhalb von drei Stunden gründen. Natürlich auch komplett online. Estland konzentrierte sich seit seiner Unabhängigkeit im Jahr 1991 komplett auf die Digitalisierung des Landes und hat dadurch einen großen Vorteil gegenüber anderen Staaten, deren Strukturen über viele Jahre und Jahrhunderte gewachsen sind und sich nur schwer verändern lassen – getreu dem Motto „das ist doch schon immer so und funktioniert doch schon seit Jahren“. (Quellen: Estland – Der unglaubliche Aufstieg zum digitalen Vorreiterstaat – recode.law und Home page -Estonia)

Zum Abschluss muss noch erwähnt werden, dass es auch auf Deutschlands Ämtern bergauf geht. In manchen Städten kann man zum Beispiel online Termine für einen Besuch auf dem Amt vereinbaren oder sogar die Geburt seines Kindes komplett online registrieren. Die Geburtsurkunde kommt dann natürlich per Post, aber seien wir mal ehrlich: manche Dinge möchten wir auch gerne in Papierform zu Hause haben und nicht nur als Bits und Bytes irgendwo in der Cloud.

Ergebnis: Papierbasierte Prozesse halten uns unnötig auf. Egal in welchem Lebensbereich. Sie sind träge und fehleranfällig und verbrauchen unnötig viele Ressourcen – sowohl physische in Form von Papier, also auch Zeit, Personal und letztendlich Geld. Sie machen uns abhängig von Rohstoffen wie Holz, funktionierenden Druckern und reibungslosen Übertragungswegen. Viele Engpässe, die sich durch die papierlose Arbeit vermeiden lassen. Wenn wir beispielsweise die Ummeldung unseres Wohnsitzes oder die Verlängerung unseres Personalausweises online durchführen könnten, würden wir einiges an Zeit sparen. Wir könnten unsere Daten bequem zu Hause in unser Smartphone oder unseren Laptop bzw. PC eintippen, das Amt bekäme die Daten in digital lesbarer Form zugeschickt, könnte diese sogar automatisiert mit den bereits bestehenden Daten abgleichen und die weitere Bearbeitung unverzüglich anstoßen. Lange Wartezeiten und Übertragungsfehler ließen sich auf diese Weise vermeiden und wir hätten vielleicht sogar Spaß mit unserer guten alten deutschen Bürokratie – nur ohne den ganzen Papierkram! Denn irgendwie gehört sie ja am Ende zum deutsch-Sein dazu 😉

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